
Warum ich Liebe ins Business gebracht habe
Vor einigen Jahren erreichte mich während meiner Pilgerreise auf der Via Francigena – von Canterbury nach Rom – eine Anfrage eines großen deutschen Automobilherstellers. Ob ich eine Keynote zum Thema „Virtuell führen“ halten würde? Mein erster Impuls war ein schnelles Ja. Doch mitten im Unterwegssein, habe ich gespürt, dass es doch um mehr geht: Ich will mehr als nur über Strukturen und Tools sprechen. Ich möchte über das sprechen, was Führung für mich im Kern bedeutet – über Präsenz, über Integrität und über die vielleicht kraftvollste Ressource von uns Menschen und so auch im Business überhaupt: die Liebe.
Also habe ich innegehalten und im Rhythmus meiner Schritte noch weiter nachgedacht, was das Thema sein könnte, dass mich inspiriert und dennoch perfekt für den Kunden ist.
Nein gesagt habe ich – zumindest zu der reinen Sachorientierung. Und Ja zu einem anderen, mutigeren Vorschlag: Ich möchte in meiner Keynote über Liebe im Business sprechen. Darüber, dass Führung auch bedeutet, sich einzulassen. Dass Klarheit und Mitgefühl kein Widerspruch sind.
Mein Vorschlag wurde begeistert angenommen. Und ich durfte in den folgenden Jahren immer wieder genau darüber sprechen – in Führungskreisen, auf Veranstaltungen, in Unternehmen.
Was mich am meisten berührt hat: Es waren nicht die agilen Frameworks oder Managementmodelle, an die sich die Teilnehmenden später erinnerten. Sondern Sätze wie: „Ah, du warst doch die mit der Präsentation über die Liebe.“
Heute weiß ich noch klarer: Liebe im Business zeigt sich nicht im Kuschelkurs, sondern im Mut zur Wahrheit. Und manchmal beginnt dieser Mut mit einem Nein und ganz oft eben in der Begegnung zum Gegenüber.
Warum Liebe im Business mir wichtig ist
Ich war die letzten 26 Jahre meines Angestelltenlebens bei SAP immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen, da ich schnell gelangweilt bin und aber auch nach Beziehung zu Menschen. Beziehungen die echt sind und auf Wertschätzung basieren. Rückblickend muss ich zugeben, dass zu Anfangs mehr die Beziehung auf privater Ebene im Vordergrund stand. Ich wollte den Menschen privat kennenlernen, die Vorlieben, die Art wie sie leben, etc. Da Beziehung auch zu meinen Top Werten gehört, hat mich das nicht wirklich verwundert. Dennoch wurde nach und nach die Beziehung wichtig, wie die Menschen mit mir umgehen, wie sie mit Dingen umgehen und wie sie in Beziehung sind mit anderen Menschen - auch wenn es mal schwierig wurde. Natürlich kann ich auch folgende Worte nennen und diese als Liebe verstehen. Mal sehen...
- Augenhöhe: ja, könnte man auch sagen, ist mir aber zu kurz gegriffen.
- Kollegialität: das freundliche, respektvolle und hilfsbereite Verhalten unter Kollegen. Ja, für mich ein No-brainer. Nicht aber eben zu verwechseln mit Ja-sagen, wenn es nicht passt. Auch nicht nur "einfach" zu helfen, nicht dem Helfersyndrom unterzuordnen, weil es der Persönlichkeit entspricht und der Harmonie zuträglich sein kann.
- Wertschätzung: ganz klar. Den Menschen positiv zu bewerten, auch wenn Taten oder Handlung oder Leistung nicht dem entsprechen was erwartet wird. Denn wenn wir das tun, schlägt es ganz schnell in Geringschätzung um.
- Offenheit: es ist wunderbar mit aufgeschlossenen, freigeistigen Menschen zusammen zu arbeiten. Menschen, die hinterfragen und neugierig sind. Aber Achtung, nur weil jemand offen ist, heißt das nicht, dass er offen alles sagt. Ich kann mit Menschen, die offen sind und unvoreingenommen super arbeiten, aber das heißt nicht unbedingt, dass ich hier eine Verbindung spüre. Definitiv habe ich jedoch viel Freude mit offenen Charakteren.
Diese Liste lässt sich fortsetzen mit vielen guten Eigenschaften die eine gute Führungskraft ausmachen. Ich möchte behaupten, dass einige Verhaltens- und Charaktereigenschaften in die Fähigkeit der Liebe einzusortieren sind. Und es braucht Liebe überall.
Wie geht eigentlich Nein sagen auf der Basis von Liebe?
Ist das nicht eine schöne Frage?
Als erstes muss ich mir über meine Haltung zu einer Sache, Projekt, Vorhaben, Person im Klaren sein. Wenn ich für mich beschließe, dass ich mit Klarheit, Respekt, Wertschätzung, Empathie und
Stärke führen möchte, dann muss ich mir das auch immer vor Augen halten. Es ist wie ein Comittment zu mir selbst. So als würde ich mich jeden Morgen vor den Spiegel stellen und mir selbst sagen,
welche Art von Führungskraft ich sein will.
Nein sagen auf der Basis von Liebe bedeutet, sich selbst zu kennen und sich selbst mit Respekt, Klarheit, Wertschätzung und Mitgefühl zu begegnen. Es ist kein kaltes Abwehren oder Abgrenzen
sondern mich selbst wertschätzend zu positionieren.
💗 1. Ein Nein aus Liebe ist ein Ja zu dir selbst
Du sagst Nein, nicht weil du ablehnst – sondern weil du achtest. Deine Zeit, deine Energie, deine Werte. Nicht zuletzt auch Deine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt als Führungskraft. Ein liebevolles Nein schützt dein inneres Gleichgewicht, damit du überhaupt in Beziehung bleiben kannst. In der Führung bedeutet das: Ich kann nur dann verlässlich führen, wenn ich innerlich aufgeräumt und bei mir bin. Ein Ja, das aus Überforderung oder dem Wunsch, gemocht zu werden, entsteht, wirkt oft inkonsistent und schwächt am Ende die Beziehung. Ein Nein hingegen – klar, ehrlich, gut begründet – schafft Respekt.
„Ich kann dir gerade nicht geben, was du brauchst – und genau deshalb bin ich ehrlich.“
"Ich verstehe Deinen Punkt und ich danke Dir für die Idee - und es bringt unser Projekt nicht genug voran."
"Wir können das Projekt in dieser Phase nicht übernehmen, da laufende Projekte unser ganze Aufmerksamkeit und Fokus brauchen".
🌱 2. Ein Nein schafft gesunde Beziehung – nicht Distanz
Grenzen sind Wegweiser, an der sich meine Mitarbeiter orientieren. Sie ermöglichen, ich möchte schon sagen, eine Nähe, da es Klarheit und Verlässlichkeit gibt. Ohne sie kann Verstrickung oder Rollenkonfusion entstehen. Hier kommt psychologische Sicherheit ins Spiel. Die Harvard-Professorin Amy Edmondson hat ein Konzept zur Psychologischen Sicherheit entwickelt. "Psychologische Sicherheit beschreibt die Überzeugung, dass das Arbeitsumfeld sicher für zwischenmenschliche Risiken ist" . Das heißt, ich kann mutig meine Meinung sagen, Bedenken und Fragen äußern und muss keine Strafe erwarten. Es bedeutet, dass ich sicher bin und nicht befürchten muss, dass ich blamiert werde oder gar ausgeschlossen. Die Message ist: Ich bin willkommen. Wir alle im Team sind willkommen. Es wird zugehört und ich darf mich trauen. Auch als Führungskraft darf ich mich trauen und ich darf mich trauen Nein zusagen, wenn es nötig und angemessen ist. Ein Nein zeigt dem Gegenüber: „Ich traue dir zu, dass du mein Nein halten kannst".
Liebe sagt nicht immer Ja – Liebe ist da, auch im Nein.
3. Nicht alles möglich machen – sondern das Wesentliche ermöglichen
Im Business bedeutet das: Prioritäten setzen. Mut zur Unterscheidung. Klares Handeln. Ein „Nein“ kann mehr Orientierung und Vertrauen schaffen als ein halbherziges „Vielleicht“. Leadership bedeutet auch Menschen und Teams zu entwickeln und von einem gemeinsamen Ziel und der Vision zu überzeugen und zu begeistern. Oft erfahren Führungskräfte Widerstände oder die Ziele von gestern sind durch andere Ziele ersetzt worden. Die Führungskräfte, die zu mir ins Coaching kommen, berichten oft über diese Zerrissenheit und das Gefühl in einer Sandwichposition zu sein. Dieses Gefühl schwächt und so kann eine Führungskraft nach einiger Zeit in dieser gefühlten Zwickmühle nur noch eher reaktiv sein und nicht wirklich im Gestaltermodus zu führen. In Krisenzeiten und Zeiten der Unsicherheit muss ich also in der Lage sein auch "Nein" sagen mit Herz und Haltung. Also mit Liebe zur Sache und/oder zur Person.
Wie kann ich Nein-Sagen üben:
- Suche Dir Vorbilder, die klar Ja und Nein sagen.
Überlege Dir, welche (ehemaligen und aktuellen) Führungskräfte Du bewunderst für genau diese Qualität der Klarheit? Welche Führungskraft bringt Liebe und Klarheit mit? Nimm Dir jeden Morgen aktiv vor, dass Du eine Entscheidung aus der Perspektive dieser Führungskraft reflektierst und danach handelst. Wie fühlt sich das an? Was bremst Dich? Was hilft Dir? - Durch gezieltes Coaching.
Werde Dir bewusst über Deine Stärken und Schwächen. Warum sagst Du oft ja, wenn Du nein meinst? Welche Konsequenzen fürchtest Du? Wie sieht es aus mit dem Selbstwert und Selbstbewusstsein? Diese Reflektionen können in einigen Sitzungen erarbeitet werden, um Dich zu stärken und mehr und mehr auf Deinen eigenen authentischen Weg als Führungskraft begleiten.
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